Wegen des Bilanzskandals beim Finanzdienstleister Wirecard werden die bisherigen Chefs juristisch verfolgt. Jan Marsalek ist Medienberichten zufolge im Ausland untergetaucht. Die Aktie indes hebt ab.
Der langjährige Vorstand der Wirecard AG, Jan Marsalek, wird sich offenbar nicht von deutschen Staatsanwälten vernehmen lassen. Das erfuhren die Sender WDR und NDR sowie die "Süddeutsche Zeitung" aus Kreisen der Prozessbeteiligten. Marsalek hatte über seinen Anwalt in der vergangenen Woche zunächst erklären lassen, er werde nach München kommen, um bei der Justiz vorstellig zu werden. Dies solle nun doch nicht stattfinden. Weder die Staatsanwaltschaft München noch sein Verteidiger wollten sich demnach auf Anfrage äußern.
Die Staatsanwaltschaft hatte in der vergangenen Woche einen Haftbefehl gegen den 40-jährigen Österreicher erwirkt. Marsalek werden verschiedene mögliche Delikte im Zusammenhang mit dem Bilanzskandal des Unternehmens vorgeworfen.
1,9 Milliarden Euro verschwunden
Der Zahlungsdienstleister Wirecard hatte am Montag vergangener Woche mitgeteilt, dass ein Vermögen in Höhe von 1,9 Milliarden in Euro auf Konten des Unternehmens bei zwei philippinischen Banken Asien gar nicht existiere. Die philippinische Zentralbank erklärte, dass kein Geld von Wirecard in das Finanzsystem des Landes gelangt sei. Der Börsenkurs des DAX-Unternehmens stürzte ab. Am Donnerstag beantragte die Wirecard AG, die zu den Dax-Konzernen gehörte, ein Insolvenzverfahren.
Jan Marsalek (Wirecard/Leopold Fiala)
Ex-Vorstand Marsalek: Nach China geflüchtet?
Marsalek hatte ein Jahrzehnt lang im Vorstand das operative Geschäft geleitet. Dabei entstand ein weltweit verzweigtes Konstrukt aus Tochter- und Partnerfirmen. Viele Umsätze und Gewinne, die in diesem Netzwerk angefallen sein sollen, hat es offenbar nie gegeben.
Wo ist Marsalek?
Marsalek soll sich zuletzt auf den Philippinen aufgehalten haben, anschließend verlor sich seine Spur. Der per Haftbefehl gesuchte Österreicher hält sich möglicherweise in China auf. Der philippinische Justizminister Menardo Guevarra teilte mit, Marsalek sei vergangene Woche auf die Philippinen eingereist und habe das Land kurz darauf Richtung China wieder verlassen. Sein langjähriger Förderer, der Wirecard-Vorstandschef Markus Braun, hatte sich am Montag vergangener Woche der Justiz gestellt.
Philippinische Behörde untersucht drei Firmen
Derweil kündigte die philippinische Anti-Geldwäsche-Behörde AMLC an, im Fall Wirecard möglichst rasch für Aufklärung sorgen zu wollen. Man werde eine "schnelle und gründliche" Untersuchung starten, um weitere involvierte Gesellschaften und Personen zu finden, sagte Mel Georgie Racela vom AMLC der Nachrichtenagentur Reuters. Genau ansehen werde sich die Behörde vor allem drei Unternehmen, die im Zusammenhang mit dem deutschen Zahlungsabwickler stünden: Centurion Online Payment International, Pay Easy Solutions und Cone Pay International.
Von den Firmen war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten. Pay Easy antwortete nicht auf E-Mails, Telefone waren abgeschaltet. Die Telefonnummer von Centurion war außer Betrieb. Auch Cone Pay war für einen Kommentar nicht erreichbar, da Kontaktdaten auf der Internetseite fehlten und ein sonst in der Branche üblicher Jahresbericht bei der Regulierungsbehörde nicht verfügbar war. Der philippinische Zentralbankchef Benjamin Diokno, der der Geldwäschebehörde vorsteht, wollte sich nicht dazu äußern, welche Firmen und Personen noch untersucht würden.
Der von Wirecard offenbar als Treuhänder eingesetzte philippinische Anwalt Mark Tolentino wies eine Verantwortung für die Pleite von Wirecard von sich. Er habe sechs Bankkonten für eine in Singapur ansässige Firma eröffnet, aber bis zum Bekanntwerden des Skandals nicht gewusst, dass sie für Wirecard waren, sagte er der Agentur Reuters. Auf den Konten sei nie mehr als ein paar Hundert Euro gewesen. "Jeder zeigt mit dem Finger auf mich, und stellt mich als Dieb des fehlenden Geldes dar", sagte er. "Ich möchte meinen Namen reinwaschen. Ich bin ein Opfer von Identitätsdiebstahl und gefälschten Nachrichten."
Erneute Kurskapriolen bei Wirecard
Trotz der jüngsten Turbulenzen stach das angeschlagene Unternehmen am Montag am deutschen Aktienmarkt mit einem Plus von zeitweise rund mehr als 200 Prozent heraus, allerdings bei einem niedrigen Ausgangspreis. Das ist der größte Kurssprung eines Dax-Wertes überhaupt. Die Papiere seien ein Spielball spekulativ orientierter Anleger, sagte ein Händler. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet, Finanzinvestoren und der Konkurrent Worldline seien an Teilen des insolventen Zahlungsabwicklers interessiert. Worldline-Aktien legten an der Börse in Paris um 1,5 Prozent zu.
kle/AR (afp, tagesschau.de, rtr)