Quelle: WELT/ Nele Würzbach, Carsten Hädler
In Deutschland wird das Sturmtief „Poly“ erwartet. In einigen Regionen muss mit Orkanböen gerechnet werden. Marco Ostwald berichtet aus Büsum.
Sturm- und Orkanböen fegten am Mittwoch über Niedersachsen und Bremen. Die Küste war besonders betroffen. Im Emsland begrub ein Baum eine Fußgängerin unter sich. Die Frau starb. Am Abend gab der Deutsche Wetterdienst Entwarnung.
Mit bis zu 130 Stundenkilometern sind am Mittwoch Sturm- und Orkanböen über Niedersachsen und Bremen gezogen und haben einem Menschen das Leben gekostet. Ein entwurzelter Baum begrub eine Fußgängerin in Rhede an der Ems (Emsland) unter sich, wie die Polizei mitteilte. Die Frau wurde eingeklemmt und starb noch an der Unfallstelle. Die 64-Jährige war mit ihrem Hund spazieren, der unverletzt an die Angehörigen übergeben werden konnte. Zuletzt hatte es irrtümlich geheißen, dass die Tote ein Mann sei, die Angabe wurde dann von der Nachrichtenagentur dpa korrigiert.
Am Abend gab der Deutsche Wetterdienst Entwarnung und hob die Gefahrenmeldung vor Orkanböen fürs nördliche Emsland und Ostfriesland auf.
Die Einsatzkräfte mussten im Laufe des Mittwochs zu Hunderten Einsätzen ausrücken, besonders betroffen war die Küstenregion. Allein im Landkreis Wittmund wurde die Feuerwehr bis zum Nachmittag mehr als 260 Mal gerufen, die Polizeidirektion Osnabrück verzeichnete knapp über 150 Einsätze. In Bremerhaven und den Landkreisen Cuxhaven und Osterholz wurde mehr als 200 Mal der Notruf gewählt. Landesweit wurden Dächer beschädigt, Äste brachen ab und fielen auf parkende Autos, entwurzelte Bäume blockierten Straßen und Gleise.
„Das ist für einen Sommersturm schon wirklich extrem“, sagte ein DWD-Meterologe zu den heftigen Orkanböen. „Schwere Sturmböen im Sommer verursachen vor allem an der Vegetation deutlich größere Schäden, weil die Bäume belaubt sind“, sagte der Meteorologe weiter. Der Widerstand sei größer und die Bäume könnten das nicht so abfedern wie im Winter. „Die Gefahr ist deshalb deutlich größer, dass die bei solchen Böen umkippen oder Äste abbrechen.“
Mehrere Bäume fielen nach Bahnangaben am Mittwochnachmittag etwa auf die Gleise zwischen Emden und Leer. Im Regionalverkehr komme es deshalb zu Verspätungen und Zugausfällen. Betroffen waren aber auch Intercity-Züge zu den touristischen Gebieten in Ostfriesland. Und auch zwischen Bremen und Bremerhaven-Lehe fielen nach Bahnangaben ebenfalls einzelne Regionalzüge wegen des Unwetters aus.
Viele Fähren – unter anderem bei Baltrum, Langeoog, Wangerooge und zwischen Cuxhaven und Helgoland – fuhren nach Angaben der Betreiber ab Mittwochmittag nur eingeschränkt oder blieben gleich im Hafen.
Sicherheitshalber endete der Unterricht an den 49 allgemein- und berufsbildenden Schulen in Oldenburg und an den 25 Schulen in Delmenhorst schon um 10 Uhr. Die Schüler erhielten ihre Zeugnisse dort noch vor Schulende und konnten gleich in die Sommerferien.
In Oldenburg wurde ein städtischer Mitarbeiter bei Räumungsarbeiten von einem herabstürzenden Ast verletzt. Er wurde mit Verdacht auf schwere Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht. Ein weiterer Mitarbeiter wurde leicht verletzt. Ebenfalls in Oldenburg stürzten mehrere Bäume um und fielen nach Polizeiangaben auf sechs Autos, die stark beschädigt wurden. Die Schadenshöhe stand zunächst nicht fest. Eine erste Meldung, dass eine Frau in ihrem Auto verletzt worden sei, bestätigte sich nicht. Sie sei nur durch Buschwerk eingeklemmt gewesen und konnte schnell von der Feuerwehr befreit werden. Auf der Zugstrecke Oldenburg-Leer brannte am Mittag ein Baum, der in die Oberleitung gefallen war, berichtete die Polizei.
Landesweit sollten Menschen möglichst nicht vor die Tür gehen, Parkanlagen und Wälder meiden. In Hannover blieben am Mittwoch der Tiergarten, die Waldstation Eilenriede, der Stadtpark sowie der Berggarten in Herrenhausen geschlossen. In Bremen sollte der Bürgerpark nicht betreten werden, auch die Stadt Wilhelmshaven warnte vor einem Besuch der Parkanlagen.
Wegen der Sturmwarnung sagte die Friedhofsverwaltung in Hamburg geplante Trauerfeiern ab. Die Friedhöfe Ohlsdorf, Öjendorf, Volksdorf und Wohldorf würden ab 12 Uhr geschlossen. Auch der Tierpark Hagenbeck blieb am Mittwoch geschlossen. Zentrale Vorgaben zu Schulschließungen wird es in der Hansestadt nicht geben, da die Orkanböen erst ab 14 Uhr erwartet würden. „Dann haben die meisten Grundschulen ihren Unterrichtsbetrieb beendet“, sagte ein Sprecher der Schulbehörde.
DRAMATISCHE KLIMADATEN
Der rätselhafte Sprung der Meerestemperatur
Das Sturmtief „Poly“ soll nach Einschätzungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) noch bis zum Abend über die Region fegen. Betroffen seien insbesondere das nördliche Emsland, Ostfriesland bis zum Jadebusen vor Sturm- und Orkanböen. Lokal seien auch Gewitter mit Starkregen innerhalb kurzer Zeit möglich. „Das ist unangenehm beim Autofahren“, warnte ein Sprecher des DWD. Fahrer sollten sich auf Windböen und von der Seite peitschenden Regen einstellen.
„Je küstennäher man ist, desto gefährlicher ist es“, sagte der Wetterexperte. Aber auch im Landesinneren fege der Wind bis zum Einbruch der Dunkelheit mit mehr als 100 Stundenkilometern über Bremen und Niedersachsen.
Erst in der Nacht auf Donnerstag lassen die Böen langsam nach, sagte ein Sprecher des DWD. „Am Donnerstag werden wir von dem Sturm nichts mehr spüren.“ An dem Tag wechselt sich laut Vorhersage starke Bewölkung mit einzelnen Schauern oder kurzen Gewittern ab, dazwischen gibt es sonnige Abschnitte. Die Temperaturen klettern dann auf bis zu 24 Grad.
Flugausfälle und eine Tote in den Niederlanden
In den Niederlanden beeinträchtigte das Wetter schon am Morgen den Flug- und Bahnverkehr stark. Am Flughafen Schiphol in Amsterdam, einem der wichtigsten Drehkreuze in Europa, wurden rund 400 Flüge gestrichen, berichtete die Nachrichtenagentur ANP. Der Bahnbetreiber NS stellte den gesamten Zugverkehr im Norden der Niederlande ein. Von der Einstellung waren auch Hochgeschwindigkeitszüge nach Köln und Hamburg sowie der Eurostar nach London betroffen.
Eine Frau in Haarlem starb, als ein Ast auf ihr Auto krachte. Der Wetterdienst hatte für große Teile des Landes die höchste Warnstufe ausgegeben. Die Bürgerinnen und Bürger wurden aufgerufen, in ihren Häusern zu bleiben. In der Nähe der Stadt Alkmaar blockierte ein umgestürzter Lastwagen eine Autobahn, entwurzelte Bäume und herabfallende Äste blockierten noch viele andere Straßen.