Ein unbewohntes Riff im Südchinesischen Meer hat sich zum neuen Brennpunkt im Konflikt zwischen China und den Philippinen entwickelt. Auch Deutschland will in der Region Präsenz zeigen.
Von oben betrachtet wirkt das Sabina Shoal, ein Riff im Südchinesischen Meer, geradezu friedlich. Ein paar hellbraune Tupfer Land, die sich im tiefblauen Wasser verteilen, sind auf Luftbildern der Region zu erkennen. Das unbewohnte Riff ist Teil der Spratlys, einer Inselgruppe vor der Westküste der philippinischen Insel Palawan. Und es ist umstritten zwischen den Philippinen, der Volksrepublik China und anderen Anrainerstaaten. Vor ein paar Wochen sind hier erstmals Schiffe der chinesischen und der philippinischen Küstenwachen aneinandergeraten, seitdem ist es vorbei mit der Ruhe am Sabina Shoal. Mehr noch: Das Riff, das in Teilen vom Meer überspült wird, entwickelt sich immer mehr zum neuen Brennpunkt im Konflikt zwischen den beiden Ländern, in dem auch die USA und die EU längst Position bezogen haben.
Es begann Anfang Mai. Da warf das Büro des philippinischen Präsidenten Ferdinand Marcos Jr. den Chinesen vor, an dem Riff, das innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszone der Philippinen liegt, eine „künstliche Insel“ zu errichten. Dutzende chinesische Schiffe seien in der Region präsent, um „illegale Aktivitäten“ durchzuführen, hieß es aus Manila. Man habe deswegen mehrere eigene Schiffe zu Beobachtungszwecken zu dem Riff geschickt. Peking sprach daraufhin von „reinen Gerüchten“, zudem sei es „unbestreitbar“, dass China die Souveränität über die Spratly-Inseln ausübe.
Südchinesisches Meer: Peking und Manila überhäufen sich mit Vorwürfen
Am 19. August dann eine weitere Eskalation, wobei unklar ist, was genau wirklich geschehen ist. China behauptete, zwei Küstenwachenboote seien in die Gewässer um das Sabina Shoal eingedrungen, eines davon sei „absichtlich“ mit einem chinesischen Schiff kollidiert. Ein Video, das die chinesische Küstenwache veröffentlicht hat, soll diese Version der Ereignisse stützen. Aus Manila wiederum hieß es, chinesische Boote hätten „illegale und aggressive Manöver“ durchgeführt und dabei die beiden eigenen Schiffe beschädigt. Fotos der philippinischen Küstenwache zeigen ein großes Loch in der Außenhülle eines der Schiffe. Seitdem ist es unruhig geblieben an dem Riff, das die Chinesen Xianbin Jiao und die Philippinen Escoda Shoal nennen. Zunächst warfen die Philippinen den Chinesen vor, eines ihrer Boote mit einer Wasserkanone beschossen zu haben. Dann sollen 40 chinesische Boote, darunter drei Kriegsschiffe der Volksbefreiungsarme, in die Gewässer rund um das Riff eingedrungen sein.
Auch wenn im Einzelfall nicht immer klar ist, wer für die Zusammenstöße verantwortlich ist, und Aussage gegen Aussage steht: China versucht zunehmend aggressiv, seine Ansprüche in der Region durchzusetzen. Ein im Juli geschossenes Abkommen zwischen Peking und Manila, das Zusammenstöße im Südchinesischen Meer verhindern sollte, scheint nach wenigen Wochen bereits wirkungslos.
„China wird sich nie wieder von den Philippinen täuschen lassen“
In den vergangenen Jahren gerieten China und die Philippinen vor allem an zwei anderen Orten im Südchinesischen Meer zusammen, das die Philippinen als Westphilippinisches Meer bezeichnen: am Scarborough-Riff vor der Westküste der philippinischen Hauptinsel Luzon, wo Peking seit 2012 eine dauerhafte Präsenz unterhält, sowie am Second Thomas Shoal, das unmittelbar an das Sabina Shoal grenzt. Dort harren seit 1999 philippinische Soldaten auf einem absichtlich auf Grund gesetzten Schiffswrack aus dem Zweiten Weltkrieg aus. Beide Seiten, China und die Philippinen, wollen nun offenbar vermeiden, dass am Sabina Shoal ebenfalls Fakten geschaffen werden, dass der jeweils andere sich hier dauerhaft festsetzt.
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„Diese jüngsten Entwicklungen haben die wahren Absichten der Philippinen offenbart, die darin bestehen, eine langfristige Präsenz zu etablieren und das Riff zu besetzen“, schrieb Chinas staatliche Nachrichtenagentur Xinhua kürzlich in einem Kommentar. „China wird sich nie wieder von den Philippinen täuschen lassen.“
Rund 90 Prozent des Südchinesischen Meers beansprucht Peking für sich, darunter auch Gebiete, die Hunderte Kilometer entfernt sind von den Küsten der Volksrepublik, aber oftmals unmittelbar vor den Küsten anderer Anrainer wie den Philippinen, Vietnam oder Malaysia liegen. Mehrere der Inseln baut China seit Jahren aus, schüttet Land auf und errichtet Landebahnen oder Schiffsanleger. Ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 2016, das die chinesischen Ansprüche auf die Spratly-Inseln zurückweist, ignoriert Peking beharrlich und betont stattdessen angebliche historische Rechte auf die Region.
Experte: Chinas Staatschef will „seinen Machthunger stillen“
„Am Ende geht es Peking darum, aus dem internationalen Meer ein nationales Gewässer zu machen“, sagt Alexander Görlach, Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs. „Das kann nur dann gelingen, wenn die Inseln im Westphilipinischen Meer chinesisch sind. Deshalb versucht Peking, so viele als möglich von ihnen für ‚umstritten‘ zu erklären, um sie sich Stück für Stück einzuverleiben.“ Sollte sich China durchsetzen, bestünde „akute Kriegsgefahr mit den Vereinigten Staaten und den ihren NATO-Partnern in der freien Welt“, so Görlach zu unserer Redaktion. Schätzungen zufolge werden ein Drittel des Welthandels und rund 40 Prozent des europäischen Außenhandels über das Südchinesische Meer abgewickelt. Wer die Region kontrolliert, besitzt also auch die Kontrolle über die Hauptschlagader der Weltwirtschaft. Zudem vermuten Experten in dem Gebiet große Öl- und Gasvorkommen.
In dem Konflikt mit China haben sich die USA an die Seite ihrer ehemaligen Kolonie, der Philippinen, gestellt. Auch die EU verurteilte kürzlich die „gefährlichen Handlungen“ der Chinesen am Sabina Shoal, die Bundeswehr will schon bald eine Fregatte durchs Südchinesische Meer schicken. Für Görlach das richtige Signal, um die Ambitionen der Chinesen zu stoppen. Denn Chinas Staatschef Xi Jinping gehe es in der Region schlichtweg darum, „seinen Machthunger zu stillen“.